Studiert hat sie an der Dresdner Kunsthochschule, gelebt für längere Zeit in Dresden und Berlin. Dazwischen zog sie nach Strehla an der Elbe, mit Eula bei Nossen folgte am Ende das Dorf. Unschwer zeigt sich im Wechsel ein Muster: Stadt, Land, Fluss.
In ähnlicher Vielfalt ist Maja Nagel seit den frühen 80er Jahren mit der Kunst unterwegs, in Zeichnung, Malerei und Collage, mit Performance und Installation und ihren bewegten Figuren im Animationsfilm; erfolgreich, wenn Qualität der Maßstab ist.
Der elementare Kern ihrer Arbeit ist die Zeichnung. Der zeigt sich in den Spuren, wenn die Hand Striche setzt, Schwünge und Flecken, die Momente der Bewegung auf einen Zustand zu. Das abstrahierend Gestische wie der feinlinige, sehr konkrete Zugriff sind Suche, Begegnung, Feststellung, Interpretation und Weltenbau.
Sie höre, sagt sie, sehr auf das Material, die Form. Es ist ein Dialog mit den Dingen, ein Kreisen. Sie könne nicht rein abstrakt arbeiten, es brauche die Figur und ihre Spannung, das Stoffliche, Angreifbare. Sie könne das spielerisch machen, aber es brauche das Betreffen: „Es muss mich angehen“. Was sie beschäftigt, greife dann aus, erfasst alles, das Sehen vor allem, das Aufnehmen, stiftet das Zusammengehen. Vorhaben setzen sich um in Reihen, Rastern, seriellen Mustern. Dazwischen entstehen Einzelstücken, Solitäre.
Was immer sie anfange, es kommt vom Bild her, sagt Nagel, und es führt ins Bild zurück. Das Bild fasse, was mit Worten nicht zu fassen geht, spüre im Ungewissen das Fassbare auf. In der schnellen, hochkonzentrierten Zeichnung fließt etwas zusammen, wird gültiger Ausdruck, in dem sich Unbekanntes mitteilt. Zuerst der Künstlerin, dann den Betrachtern.
Es brauche Intensität, sagt sie, damit Welt zum Material wird. Intensität ist beseelte Erfahrung, kommt aus gelebtem, reflektiertem Leben, Weltwissen; sie verlangt verinnerlichtes Formbewusstsein, Gespür, das gute Handwerk. Künstler sollten etwas zu sagen haben und das auch können.
Maja Nagel hat und kann. Jeder Strich ist nachzuvollziehen, jede Geste ist an ihrem Platz, jedes Ding. Vögel sind Vögel und Fortsetzungen, Maschinen Maschinen, Hände sind greifende Verbindungsstücken. Sicheln sind, was sie sind, bewaffnete Fragezeichen, Haken der Realitäten. Die angedeutete Landschaft ist ganz sicher Landschaft, die Pflanzen sind lebende Materie, die nicht sagt, was sie denkt. Wie sie Farben setzt, liegt klar zu Tage, was und wer ihre Figuren sind ebenso, und auch was sie tun: Agieren in Metamorphosen. Dass ihre weithin klaren Bilder nicht auszudeuten sind oder gar zu leeren, gehört zu Nagels Qualitäten.
na kromje – an der Kante meint zuerst die Kante eines Tagebaus, die Grenze zwischen noch und nicht mehr. Doch weisen die Worte und ihre Felder weiter. Kante meint die Begegnung zweier Flächen in einer geraden Linie, ist also nicht Natur. Kante assoziiert Härte, Schärfe, Mühsal und Schmerz: eine Seite des Menschen. Wer sich die Kante gibt, erhält zu viel des immer Gleichen und verliert sich über kurz oder lang. Wer an der Kante steht, ist nah dran, wer auf der Kante steht, steht schlecht. Wer über die Kante geht, fällt, ins Andere oder ins Nichts. An der Kante ist ein unangenehmer, ein gefährlicher Ort, doch nicht ein Ort, der dauert.
Der Braunkohle-Abbau vernichtet seit Jahrzehnten Landschaft, Geschichte und Kultur, in der Lausitz vor allem die der kleinen slawischen Minderheit der Sorben. Doch das ist nicht alles. Getrieben von geschaffenen Sachzwängen und geschoben von Partikularinteressen steht die Menschheit heute als Ganzes vor derselben Kante.
In den Arbeiten Maja Nagels ist dieser Umstand weithin aktiv, ebenso das Aufrufen von Gegenwelten, das Beharren auf Sinn und Schönheit. In der schönen Formulierung Ernst Blochs unternimmt sie „sichtbar-unsichtbare Expeditionen hin nach Wesen“. Immer scheint Vergangenes aktiv und immer scheint ein Morgen möglich. Das ist viel.
Gregor Kunz